Die heimliche Bundesregierung hat gehandelt: Was als Wahlkampf-Gag des Wiener Bürgermeisters begonnen hat, wird durch Zuruf des Landeshauptmanns von Niederösterreich Realität: Im Jänner 2013 findet eine Volksbefragung zur Wehrpflicht statt. Die konkrete Fragestellung lautet: „Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres? oder Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“
Die Diskussion, die seither in der Öffentlichkeit geführt wird, ist nicht unspannend, geht es doch noch in keinster Weise darum, was die Rolle eines Bundesheeres in Österreich sein soll, welche Aufgaben überhaupt übernommen werden sollen oder – viel wichtiger – ob es ein Bundesheer überhaupt braucht. Vielmehr wird der Zivildienst in den Mittelpunkt der Debatte gerückt (natürlich kann zurecht behauptet werden, dass eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit bzw. die Notwendigkeit eines Bundesheers auch von all jenen, die einer bewaffneten Einheit grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen, verschlafen wurde. Die Existenz eines Heeres in Österreich ist, das ist seit der Fixierung der Volksbefragung klar, auf die nächsten Jahrzehnte einzementiert).
Das wirklich Ironische an der aktuellen Debatte ist, dass viele derer, die die Wehrpflicht behalten wollen, heute mit dem Wehrersatzdienst (Zivildienst) argumentieren, den sie zuvor bekämpft haben (Gewissensprüfung, etc.). „Wir brauchen das Heer, damit viele den Wehrersatzdienst in Anspruch nehmen, um unser soziales Netz aufrecht zu erhalten“, heißt es vielerorts. Argumente, wie funktionierende Beispiele aus fast allen europäischen Ländern, verhallen (noch?) ungehört. Gleichzeitig wird oftmals eine neue Variante ins Spiel gebracht: Ein verpflichtendes soziales Jahr. Was dabei oft nicht bedacht wird: Ein verpflichtendes soziales Jahr widerspricht ist schwierig mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen.
Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention besagt eindeutig, dass niemand dazu gezwungen werden darf, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Ausgenommen davon sind zwar die Wehrpflicht und ein Wehrersatzdienst, wenn die Wehrpflicht aber abgeschafft wird, kann niemand zu einem Sozialdienst (der dann ja kein Wehrersatzdienst mehr ist) gezwungen werden. Update: Danke für den Hinweis von Roland Giersig, der auf den Aspekt der genauen Ausgestaltung hinweist.
Die zentrale Frage ist also: Soll/darf sich der Staat das Recht herausnehmen, junge Männer zur Arbeit für den Staat (egal ob sinnlos oder sinnvoll) zu verpflichten? Meine Antwort lautet: Nein! Öffentliche Aufgaben werden in Österreich (zumeist) aus Steuermitteln finanziert. Genauso müssen Sozialdienste oder Katastrophenschutz aus Steuermitteln finanziert werden. Junge Menschen dazu zu verdonnern (bei gleichzeitiger mieser Bezahlung) widerspricht meinem Bild eines selbstbestimmten Lebens. Her mit einem freiwilligen sozialen Jahr! Ein Jahr, das unabhängig des Geschlechts und des Alters in Anspruch genommen werden kann. Mit anständiger Bezahlung, mit Anrechnung auf die Pension, mit der Sicherheit, erworbene Fähigkeiten auch formal angerechnet zu bekommen.
Lesenswert:
- Ich entlobe – Die Allgemeine Wehrpflicht hat tausende junge Männer traumatisiert. Ich war einer von ihnen. Eine Abrechnung. Von Benedikt Narodoslawsky (erschienen im Falter 36/2012).
- Wehrpflicht, so schaut’s aus! Von Michael Hufnagl (erschienen im Kurier am 3. September 2012). Artikel darüber, was man beim Heer alles lernen kann. Bin allerdings den letzten Absatz betreffend optimistischer und gelange nicht nur deswegen zur gegenteiligen Schlussfolgerung.
- Dienst an der Gesellschaft. Von Clara Hirschmanner. Habe ihr via Twitter bereits angekündigt, dass ich ihr widersprechen muss. Das ist mit diesem Blogbeitrag fürs erste erledigt. ;-)
- Befreit die jungen Männer! Wider die Wehrpflicht. Von Christoph Chorherr. „Das Wesen jedes Heeres ist totaler Gehorsam.“
3 Antworten auf „Weg mit der Wehrpflicht!“
Ob ein verpflichtendes Sozialjahr gegen Art. 4 EMRK verstößt, kömmt auf den Punkt 3d) des Artikels an. Denn „eine Arbeit oder Dienstleistung, die zu den üblichen Bürgerpflichten gehört“ verstößt nicht dagegen. Ist es nicht eine Bürgerpflicht, alle Bürger zu schulen, wie man sich in einem Katastrophenfall richtig verhält? Wie man anderen hilft? Ist es keine Bürgerpflicht, für seine Gemeinschaft Positives zu tun? Ist es keine Bürgerpflicht, seine Kinder zu weltoffenen Menschen zu erziehen, die sich für andere einsetzen und wichtige Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen? All das kann ein Sozial-, Zivil- oder wie immer man ihn nennen will -Dienst leisten. Kann. Wenn wir ihn richtig definieren und organisieren…
Danke für den Hinweis, das habe ich tatsächlich verkürzt und dadurch ungenau dargestellt – meine Phantasie ist da einfach nicht weit genug gegangen… (so komme ich wenigstens zu einem Kommentar auf meinem sonst so toten Blog ;-) ).
Auf was ich hinauswollte, ist, dass es nicht möglich ist, das jetzige Zivildienstmodell 1:1 in einen verpflichtenden Sozialdienst (für Männer und Frauen) umzuwandeln, weil die Rahmenbedingungen – die unter http://derstandard.at/1285200265329/Verfassungsexperte-Verpflichtender-Sozialdienst-rechtlich-moeglich recht schön zusammengefasst sind – eine völlige Neugestaltung (auch in Bezug auf das Entgelt und die Anzahl der verpflichteten Personen) erfordern würde.
Ich habe durchaus Sympathie für deine Definition von Bürgerpflicht, die ich aus deinen Fragen herauslese, halte es für mich aber für unvereinbar, diese Pflichten durch Zwang und Sanktionsmöglichkeiten durchzusetzen (wie das bei der Wehrpflicht bzw. dem Wehrersatzdienst der Fall ist).
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